Corona-Krise: Mach dich nützlich!

von | Jun 27, 2020 | Coaching, Organisationsentwicklung, Projektmanagement

Wie vielen Kolleginnen und Kollegen da draußen, hat Corona auch mir einen Umsatzeinbruch von 100 Prozent beschert. Keiner brauchte mehr Design-Thinking-Workshops, eine Bühnenmoderation oder einen Science-Slam-Speaker. Nach einer kurzen Orientierungsphase habe ich mich auf den Kern meiner Selbstständigkeit besonnen: Mit meinen Fähigkeiten Personen und Organisationen bei Herausforderungen zu unterstützen, die sie selbst nicht lösen können. Dazu allerdings musst ich erstmal herausfinden, wo meinen Kund*innen der Schuh eigentlich am Meisten drückt. 

Der Beginn meiner persönlichen Corona-Krise ist am 26. Februar per Email in mein digitales Postfach geflattert. Die Email begann so: „Heute Morgen habe wir Nachricht bekommen, das die Nihon Universität auf Anweisung der japanischen Regierung bis Ende März alle Reisen und größere Veranstaltungen abgesagt hat. Darunter ist auch leider die Spring School gefallen. Daher müssen wir leider auch den DT Workshop stornieren.“ Bam. Es war der erste stornierte Auftrag. Eigentlich sollte der zweitägige Workshop in Würzburg stattfinden und japanische sowie deutsche Austauschstudierende miteinander vernetzen. Auf die erste Stornierung folgten unzählige weitere Absagen.: Eine User-Research für ein Pharma-Unternehmen: Gecancelt. Eine Stakeholder-Beratung für Schülerläden und Elternvertreter*innen: Auf unbestimmte Zeit verschoben. Teamentwicklungsworkshop für einen Träger von internationalen Jugendformaten: Findet erstmal nicht statt. Gebuchte Science-Slam-Auftritte mit meinem Design-Thinking-Vortrag: Wahrscheinlich erst wieder 2021. Und so weiter und so fort.

Wie bei so vielen Kolleginnen und Kollegen waren innerhalb weniger Tage Auftragszusagen von einem Volumen über mehr als 10.000 Euro einfach verpufft. Die ersten Tage machte sich Fassungslosigkeit breit, auch weil von staatlicher Seite so wenig Unterstützung für Soloselbstständige bereitgestellt wurde. Die einmalig 4.000 Euro aus Landesmitteln, die über die IBB in Berlin abgerufen werden konnten, waren nur ein kurzer Lichtblick. So hatte ich die ersten März-Wochen neben dem Verfolgen der Corona-Nachrichtenlage vor allem damit zugebracht, darüber zu grübeln, wie ich meinen Lebensunterhalt in 2020 und 2021 bestreiten sollte. Niemand brauchte Design-Thinking-Workshops, niemand wollte einen Science Slam veranstalten. Alle hatten grade andere Sorgen.

Klick machte es bei mir, als ich den ersten Post zu #wirvsvirus entdeckt hatte. Der Weltrekord-Hackathon der Bundesregierung begann als spontane Idee von Personen aus meinem Netzwerk, die in den Initiativen tech4germany und work4germany organisiert sind und mit denen ich bereits zusammengearbeitet hatte. Die Idee des Hackathons, gemeinsam Lösungen gegen die Corona-Krise zu entwickeln, nahm rasant Fahrt auf. Schnell waren mehrere hundert Herausforderungen eingereicht, und mein Team vom D.Network konnte früh beim Sichten und Sortieren unterstützen. Auch beim Hackathon selbst waren wir am Start – als Coaches, Berater, Sprecher*innen von Tonspuren, in der Moderation und als generelle Unterstützung der 27.000 Teilnehmenden. Als Pro-Bono-Job gab das zwar kein Geld, aber ein gutes Gefühl.

Herausforderungen, die es zu lösen galt, gab es pandemiebedingt auf einmal genug (hier eine Auflistung aus dem Hackathon). Kinder beschulen, das Homeoffice managen, das eigene Business digitalisieren, Corona-Hilfen beantragen, sich um die Eltern oder Großeltern sorgen die zur Risikogruppe gehören. Wenn meine bisherigen Angebote nicht mehr gebucht werden, dann wohl deswegen, weil sie auf die Fragen der Pandemie nicht die richtigen Antworten liefern. Also habe ich mich gefragt: Welche Lösungen kann ich stattdessen für die Herausforderungen der Pandemie anbieten? Ich bin kein Mediziner; die Herstellung eines Impfstoffes oder das Betreiben eines Impf-Zentrums kamen mir daher nicht in den Sinn. Klar war stattdessen schnell, dass der Schlüssel die Digitale Transformation sein würde. Bei mir und meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem D.Network häuften sich die Beschwerden von Kunden über unproduktive Telefonkonferenzen und langatmige Zoom-Calls. Meetings sind in vielen Organisationen ein großer Zeitfresser – das war schon vor Corona-Zeiten so. Aber wo Offline-Meetings ineffizient waren, wurden Online-Meetings potentiell noch viel ineffizienter – weil Technik-Chaos sowie der Verlust von Informationen aus Gestik und Mimik die Lage zusätzlich erschweren. Schnell habe ich die Erfahrung gemacht, dass eine funktionierende digitale Infrastruktur (Laptops, Software…) nur die halbe Miete ist. Mindestens ebenso wichtig fürs Digitale Arbeiten sind neue Konzepte, und ein Verständnis für die Funktionsweise der digitalen Räume. Denn wer seine analogen Formate Eins zu Eins ins Digitale verlagern will, der stößt schnell an Grenzen. Menschliche Zusammenarbeit funktioniert anders im Digitalen, die Aufmerksamkeitsspannen sind kürzer, Kommunikation findet anders statt, soziale Wärme und Herzlichkeit müssen anders hergestellt werden. Das wußte ich eigentlich bereits seit dem Verfassen meiner Magisterarbeit über Gamification – also das Übertragen von Elementen aus Computerspielen in nicht-spielerische Zusammenhänge. Mit Digitalisierung kenne ich mich aus, seit ich mit 18 Jahren zum ersten Mal eine digitale Spielekonsole mit einem analogen Röhren-Fernseher gekoppelt habe. Und dank der Science Slams habe ich ein gutes Gespür für die Dramaturgie von Veranstaltungen entwickelt.

Ausgestattet mit all diesen Fähigkeiten, habe ich bei meinen Kund*innen und Kunden zunächst weiter aufmerksam zugehört, wo die wesentlichen Herausforderungen liegen. Als Berater für Digitale Transformation habe ich dann das Leitungsteam eines Trägers von Kindertagesstätten, Altenheimen und Sozialeinrichtungen dabei unterstützt, der Arbeit auch im Home-Office nachgehen zu können. Einen Dachverband der internationalen Hilfsorganisationen stehe ich in der Einführung neuer digitaler Tools zur Seite. Mit einer Kollegin aus dem D.Network habe ich einer bundesweiten Fair-Trade-Organisation dabei geholfen, eine Mitgliederversammlung inklusive Vorstandswahl im digtialen Raum abzubilden. Ich habe ein Format mit entwickelt, mit dem internationaler Jugendaustausch weiterhin stattfinden kann – online, und trotzdem als eindrückliches Erlebnis. Im D.Network haben wir bestimmt für mehr als ein dutzend Kunden und Partner Webinare und Workshops gegeben zu Themen wie Digitale Kollaboration, Digitales Lernen, Online Meetings, Online Moderation, Barrierefreiheit im Digitalen oder auch Soziale Wärme in Online-Formaten. Gemeinsam mit der Design Thinking Coach Academy haben wir im D.Network eine eigene Fortbildungsreihe „Online Facilitator“ konzipiert, die wir grade zum ersten Mal durchführen. Insgesamt habe ich in den Monaten April, Mai und Juni 2020 mehr als 1.500 Personen gezeigt, wie sie bessere Online-Formate durchführen und sich selbstsicher in digitalen Räumen bewegen können. Und drüben bei D3, einem Format der Stiftung Bürgermut, publiziere ich neuerdings eine eigene Artikelreihe über Soziales im Digitalen.

Design Thinking, Scrum und die agile Denke erleichtern mir, schnell testfähige Prototypen an den Start zu bringen. Das wichtigste, was mich in diesen Corona-Zeiten gerettet hat, war aber ein nutzerzentrierter Blick. Wer eine Krise erfolgreich durchstehen will, tut gut daran, zu fragen: Was brauchen eigentlich meine Kunden, meine Partner, meine Freunde gerade? Wo drückt der Schuh – und wie kann ich mich nützlich machen? Für manche Menschen da draußen mag die Corona-Krise der richtige Zeitpunkt sein, um Yoga zu lernen, um ihr Aktien-Depot neu zu sortieren oder ihre Wohnung zu renovieren. Die meisten von uns sind während der Corona-Krise genug damit beschäftigt, die Probleme zu lösen, die Corona so mit sich bringt. Darauf Antworten liefern zu können, hat mich aus der Machtlosigkeit befreit. Seit dem #wirvsvirus-Hackathon erfahre ich wieder Selbstwirksamkeit. Kundinnen und Kunden mit meinen Fähigkeiten wirksam unterstützen, ist ein tolles Gefühl – und dass ich meinen Lebensunterhalt wieder selbst bestreiten kann, ein willkommener Nebeneffekt.

Titelbild: Andi Weiland I openTransfer.de