Auf den ersten Blick ist das aktuell so gehypte soziale Netzwek kein Fort- sondern ein glatter Rückschritt. Denn die Kernfunktion von Clubhouse besteht darin, dass jeder registrierte Nutzer zu Telefonkonferenzen einladen kann. Telkos – really? Ja, aber das hat durchaus seinen Reiz.
Man kombiniere das spontan-anarchische Moment eines Barcamps mit dem Prinzip einer Podcast-Plattform wie Audible und der digitalen Interaktion eines Massive Multiplayer Online-Spiels. Zack fertig: Das ist ungefähr, was Clubhouse hingezaubert hat. Als Nutzer logge ich mich ein, gebe meine Interessen an und folge ein paar Freunden, deren Kontakte die App dank großzügigem Datenhunger ohnehin bereits kennt, und schon sehe ich einen nur für mich kuratierten Tages- und Wochenplan. Vormittags um 09:00 möchte ein Kollege einer Kommunikationsagentur zu einem „politischen Espresso“ einladen. Am Nachmittag veranstaltet der bekannte Blogger Sascha Lobo einen Talk, um über die Macht von Twitter und deren Folgen für die Demokratie zu sprechen. Und am Abend geht es unter dem Titel „New Work“ um Coworking auf dem Land, es sprechen ein paar Coworking-Bekannte sowie Christoph Fahle, der Gründer des Berliner beta-House. Wie bei einer Podiumsdiskussion haben die Gastgeber jeweils die Hoheit über die Bühne; nur sie können Rederecht erteilen (und auch wieder entziehen). Der Rest des Publikums lauscht gebannt dem Talk und kann die Hand heben, um zu signalisieren dass man etwas beitragen möchte.
Soweit, so simpel. Warum genießt Clubhouse derzeit einen so großen Hype? Es sind dreierlei Gründe: Das anhaltende Fehlen realer Networking-Events. Die Müdigkeit von endlosen Video-Konferenzen. Und die aktuell große Popularität von Audio-Formaten. Schauen wir uns alle drei Punkte genauer an.
1. Fehlen von Offline-Networking-Events
Pandemie-bedingt fehlen derzeit MeetUps und andere Networking-Events; auch das informelle Plaudern mit Kolleg*innen in der Kaffeeküche kommt etwas kurz. Eine Telefonkonferenz in Clubhouse hingegen hat, gerade in diesem frühen Stadium der neuen Plattform, genau diesen anarchischen, zufälligen, ungeplanten Charakter, den viele Menschen vermissen. „Wie geht das denn hier jetzt? Ach, ich lass einfach mal alle auf die Bühne. Michael Metzger? Kenn ich nicht, egal! Schön dass du da bist.“ So wurde ich kürzlich in einem Talk mit über 50 Personen begrüßt. Es wirkt wie auf einer WG-Party. Man kommt zusammen, lässt sich treiben, und wenn das Plenum zu chaotisch wird, kann man sich mit ein, zwei oder drei Personen auch in eine Kleingruppe zurückziehen und dort eine privatere Unterhaltung führen. Schön auch die Funktion „leave silently“: Wer keine Lust mehr hat, macht nen polnischen Abgang, verlässt also das Gespräch ohne sich rechtfertigen zu müssen.
2. Müdigkeit von endlosen Videokonferenzen
Clubhouse ist audio-only, und das Fehlen einer Videofunktion ist kein Bug sondern ein Feature. Wo bei Videokonferenzen die Frisur sitzen, das Hemd strahlen und der Hintergrund zumindest ein bisschen aufgeräumt erscheinen muss, ist Clubhouse das perfekte Nebenbei-Medium. Audio lässt sich in Jogginghose genießen, beim Abspülen, Kochen oder Spazierengehen. Insofern scheint die Plattform wie für die Corona-Zeit geschaffen: Man kann sich auf Clubhouse herumtreiben und dabei die Dinge erledigen, die homeoffice- oder homeschooling-bedingt ohnehin die ganze Zeit anfallen.
3. Popularität von Audio-Formaten
Schon länger erfreuen sich Hörbücher und Podcasts einer wachsenden Beliebtheit. Die Umsätze mit Werbung im Bereich Online Audio in Deutschland sind 2019 auf rund 63 Millionen Euro gestiegen. 2017 lag der Umsatz noch bei 35 Millionen Euro (2018: 49 Millionen Euro). Laut Experten-Prognose der Mitgliedsunternehmen der Fokusgruppe Audio im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. steigen die Umsätze 2020 auf rund 70 Millionen Euro. Das bedeutet eine Verdopplung innerhalb von drei Jahren (vgl. Studie des BVDW). Wo Podcasts einfach zu konsumieren sind, ist die Produktion schon schwieriger. Zwar ist ein Podcast schnell eingesprochen, aber eine angemessene Qualität verlangt nach einem Studio, entsprechender Hard- und Software und, nunja, nach einem Verlag, der die Fanbase zusammenkriegt. Denn für sich alleine in die Leere zu senden macht eben nur bedingt Spaß. Auf Clubhouse kann sich jeder Nutzer als Podcast-Produzent, -Moderator und -Vermarkter in einer Person fühlen. Denn die Fanbase kommt über die Plattform selbst: Wie bei Twitter sammelt man schnell eine ordentliche Portion Reichweite zusammen, und hat man ein interessantes Thema gesetzt, kommen die Zuhörer*innen von selbst. Hat ja niemand so richtig was Anderes zu tun im Lockdown.
Nun stellt sich natürlich für jede einzelne Person und jede Organisation die Frage: Muss ich da auch sein? Aktuell ist Clubhouse ziemlich geprägt von Themen und Personen aus den Bereichen StartUp, Politik, Beratung, Tech und Social Entrepreneurship. Wer sich einloggt, der findet zu allererst seine eigene Blase wieder, die er bereits aus Facebook und Twitter kennt. Weil die Plattform aber in so einem frühen Stadium ist, lernt man schneller als auf etablierten Plattformen dann auch die Bekannten und Freunde von Freunden kennen, mit denen man sich sonst vielleicht nicht unterhalten würde. Außerdem kommt man via Audio leichter in ein informelles Gesprächs-Setting, als wenn man sich nur auf Twitter folgt. Was den Content im deutschsprachigen Markt angeht: Ein Tag bei Clubhouse ist derzeit noch ziemlich entspannt; auf der Agenda sind genug freie Slots für zusätzliche Themen und Talkrunden. Wer etwas spannendes beizusteuern hat, interessante Gesprächspartner mitbringt und ein bisschen Moderations-Skills hat, der kann in Clubhouse also schnell auf sich aufmerksam machen.
Übrigens: Die Niedrigschwelligkeit von Clubhouse ist meiner Meinung nach auch ihre große Schwäche. Es gibt genug Talks, die alleine dem Zeitvertreib dienen, aber inhaltlich nichts hergeben. Unter Titeln wie „Lunch Talk – einfach so 30 Min plaudern“ oder „Berlin Nachtclub“ werden Banalitäten ausgetauscht, die Gespräche plätschern ohne Ziel und ohne Struktur einfach vor sich hin. Aber vielleicht schätzen das die Leute auch. Schließlich wurden Unterhaltungen auf einer WG-Party auch selten moderiert, und nach dem fünften Bier hat man auch dort das Ziel aus den Augen verloren.
Clubhouse ist eine App im Beta-Stadium, die derzeit nur für iPhones im dortigen App-Store angeboten wird. Der Zugang ist invite-only. Wer sich mit einem Benutzernamen registriert, muss aber in der Regel nur wenige Stunden warten, bis ein bereits registriertes Clubhouse-Mitglied eine Einladung ausspricht.
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